Reisebericht 34 Chile Teil 3 Carretera Austral Drucken

Flagge ChileDurch das malerische Tal, Valle Chacabuco, erreichen wir auf einer holprigen Kiesstrasse die noch holprigere Carretera Austral oder Ruta 7.

 

Eine Strasse die vom Militär unter dem Auftrag vom Diktator Pinochet in den 70er Jahren erbaut worden war. Heute wird der 1‘200 Kilometer lange Strassenabschnitt von Villa O’Higgins bis Puerto Montt, der durch einsame Täler, türkisfarbenen Seen, schneebedeckten Bergen und Fjorde vorbei führt, in erster Linie von Touristen befahren.

Wir bewegen uns nach Cochrane der südlichsten Siedlung entlang der Carretera Austral zu, tief unten im Tal fliesst der Rio Baker (Fluss), der mit seiner leuchtend türkisblauen Farbe sogar den aufragenden Schneebergen und den Hängegletschern die Schau stiehlt. Im 2‘200 Seelen Kaff tanken wir unsere beiden Diesel-Tanks voll, denn Tankstellen sind eher rar auf diesem Teil der Ruta 7.

Unser Ziel wäre eigentlich das 130 km südlichere Tortel gewesen, ein kleines Dorf direkt am Fjord, das ohne Strassen dafür mit hölzernen Stegen auskommt. Doch nach nur 45 km auf der schmalen kurvenreichen Carretera Austral bekommen wir dreimal solche Adrenalinschübe, dass wir uns für eine vorzeitige Stellplatzsuche entscheiden. Nicht das die Strasse für uns ein zu grosses Hindernis dar stellen würde, Troopy bewältigt auch problemlos die prozentreichen Steigungen und die darauffolgenden Gefälle. Es sind die Einheimischen Verkehrsteilnehmer die einem mit übersetzter Geschwindigkeit in den unübersichtlichen Kurven entgegen schleudern. Da wir glücklicherweise auf solchen Wellblechpisten nur langsam unterwegs sind, können wir an diesem sonnigen Sonntagnachmittag, zweimal nur um Haaresbreite einen frontalen Zusammenstoss verhindern. Wie schon im Norden des Landes nerven wir uns auch hier über das rücksichtslose und zudem auf solchen Strassen gefährliche Fahrverhalten der Chilenen. Wir schlagen den Weg der Vernunft ein und fahren tags darauf nach Cochrane zurück, erledigen hier den teuren Grosseinkauf in einem typischen Tante-Emma-Laden, der noch mit Holzregalen aus der Vorkriegszeit ausgestattet ist.

Die Strasse in den Norden ist erfreulicherweise breiter und wir können die Fahrt auf der angeblich schönsten Route Chiles wieder vollends geniessen. Denn an diesem wolkenfreien Tag wirkt alles viel intensiver, der gelbe Löwenzahn der auf der saftigen Wiese blüht, der blaue fischreiche Fluss der Fliegenfischer weltweit anlockt und sogar die glotzenden Blicke des Schwarzweiss Fleckviehs das auf den Weiden grast.

Am Lago General Carrera (See) liegt unsere nächste Destination, die Capillas de Mármol die man per Bootstouren erkundigen kann. Wir entscheiden uns die Tour von Puerto Rio Tranquilo aus zu buchen, denn die Schotterstrasse die direkt von der Carretera Austral absticht, ist uns zu steil.

Nachdem wir aus einer Gruppe von 5 Personen bestehen, man bezahlt hier pro Boot und nicht pro Person, stechen wir an diesem warmen Nachmittag auf den glasklaren See hinaus. Die unterspülten Felsen der Capillas de Mármol aus hellem vieladrigem Marmor befinden sich in Ufernähe im Lago General Carrera. Teils Felshöhlen sind genug gross damit der Bootsführer das Boot hinein lotsen kann, dann bekommen wir einen Rundblick auf die im hellblauen Wasser schillernden Farben der reflektierenden Marmorfelsen. Bei den sogenannten Marmorkapellen können wir sogar ganz untendurch fahren, behutsam steuert der Bootsführer, ohne Hilfe des Motors, nur mit den Händen sachte das Boot durch den Marmortunnel hindurch.

Westlich von Puerto Tranquilo führt eine Stichstrasse in das Exploradores Tal, die Route führt nah an den Nordrand des patagonischen Eisfeldes. Unser Reise Know-How Führer, auf den zwar nicht sonderlichen Verlass ist, spricht sogar vom landschaftlichsten und vielfältigsten Tal entlang der gesamten Ruta 7. Gleich nach der Abzweigung passieren wir einen typischen patagonischen Friedhof, anschliessend folgt ein Abschnitt mit Brandrodungen der 40er Jahren, bei dessen Anblick kommen uns beinahe die Tränen. Wie Mahnmale stehen die abgestorbenen Stämme neben dem Nutzwald dessen Tannen den einstigen Mammutbäumen nicht mal bis zu den Knien reichen. Nur noch an den für die Viehwirtschaft nutzlosen Steilhängen sehen wir den intakten Mischwald mit grossen Laubbäumen und wahrscheinlich liegt dort, unzugänglich der im Reiseführer beschriebene Regenwald voll Riesenfarnen und Schlingpflanzen. Praktisch am Ende der Strasse erreichen wir den Ausgangsort für die dreissig minütige Wanderung zum Aussichtspunkt des San-Valentín-Gletschers. In grossen eingebrannten Lettern lese ich auf der Holztafel Adventures, was soll denn das, ist wandern nun der neuste Adrenalin kick?

Der sportliche junge Typ der mir mit der Zahnbürste entgegen kommt, klärt mich über die stolzen Wanderpreise und den sonstigen teuren Angeboten in dem Abenteuerland auf. Auf das ich nur noch ein non grazias über die Lippen kriege und ihm den Vogel zeigend auf dem Absatz kehrt mache.

Coihaique, die einzige Ortschaft die sich entlang der Ruta 7 als Stadt betiteln darf wirkt schon am Ortseingang nicht sehr einladend. Das darauffolgende Zentrum reisst uns dann auch nicht wirklich vom Autositz, die Läden sind rundum vergittert und die Gestalten die vor dem Supermercado herumlungern, treiben uns zur sofortigen Weiterfahrt an. Die anstehenden Einkäufe und das Tanken erledigen wir in der Hafensiedlung Puerto Aisén, welches bei uns einen gepflegteren Eindruck hinterlässt.

Die Strasse wechselt nun von der schlechten Schlaglochpiste in eine arschglatte Asphaltstrasse bis in die Ortschaft Villa Amengual. Von uns aus könnte man die gesamte Carretera Austral durch asphaltieren, von wegen Umweltschutz, den sucht man sowieso vergebens in Südamerika. Denn wir beobachten neben den chronischen Müll zum Fenster Rausschmeisser, an einem unserer idyllischen Stellplätze, wie zwei Copec Tanklaster skrupellos die Dieselrückstände vom Tank in den Wald auskippen. Daher würde der Asphaltstreifen der zudem den Staub in der Luft dezimieren würde auch keinen grösseren Schaden anrichten.

Vom Wetter her könnte es nicht besser sein, seit Tagen befinden wir uns in einem Hoch, wir entscheiden uns für den Abstecher an den Fjord Puyuhuapi und gelangen so ins verschlafene Fischerdorf Puerto Cisnes. Wir stellen uns auch hier wieder in eine ruhige Sackgasse und werden auch schon bald von den neugierigen aber scheuen Dorfbewohner beobachtet, speziell die männlichen Geschöpfe würden am liebsten Adriano beim Glühbirnen auswechseln zuschauen. Eine offene Motorhaube zieht die Latinos wie ein Magnet an.

Endlich erreichen wir den lauschig, grünen Urwald, den wir eigentlich schon im Valle Exploradores erwartet haben. Im Parque Nacional Queulat mehrere Kilometer davon entfernt finden wir die grossen Farne, Fuchsienbüsche, Lianen und tosende Wasserfälle. Jedoch eine Pflanzenart versetzt uns ins Staunen, die Panque, eine überdimensionale Rhabarber, die entlang der Strasse ihre Regenschirm grosse Blätter ausbreitet. Auch an Bambus mangelt es nicht, der wächst hier wie Unkraut und verleiht dem Regenwald obendrein eine asiatische Note. Die Strasse sieht nun auf unserem GPS wie ein Teil des Darms aus. Wir müssen durch den Dschungel mehr als 500 Höhenmeter hinab und dies auf einer engen, durch das üppige Grün behängten Schotterstrasse. Glücklicherweise schiesst uns in den steilen Kurven auf denen nur ein Auto Platz findet kein Gegenverkehr entgegen. Kaum haben wir die Serpentinen hinter uns gebracht, da rollt doch auch schon ein langer Sattelschlepper an. Wie sagt man so schön, zur richtigen Zeit am richtigen Ort...

Wir kommen nun langsam aber sicher dem Ende der Carretera Austral entgegen, bei der Kreuzung in Villa Santa Lucia, deren Schindelkirche der einzige Hingucker ist, entschliessen wir uns nichtsahnend weiter in die Ortschaft Chaitén zu fahren. Den der vom nordamerikanischen Multimillionär und Ökomagnaten Douglas Tompkins erschaffene Park Pumalin, soll gemäss unsern „beiden“ Reiseführern, Ausgabe 2008, ein toller Urwald sein in dem es sich prima campieren und wandern lässt. Auf der Teerstrasse nach Chaitén fällt uns eine merkwürdige weisse Schicht am Strassenrand auf, immer noch nichts ahnend treffen wir darauf folgend die Ortschaft an, die zerstört unter einer meterdicken Schicht Vulkan Asche begraben liegt. Wir sind über das Bild bestürzt sowohl aber auch hingerissen, obschon der Ausbruch nun ein Jahr her ist wird der Ort nicht wirklich freigelegt. Der Grund liegt bei der Regierung die die Stufe rot noch nicht aufgehoben hat, daher wurde einige Kilometer entfernt, ausserhalb der gefährlichen Zone, eine neue Siedlung vom Staat errichtet. Die wenigen dickköpfigen Bewohner interessiert das aber herzlich wenig, sie widersetzen sich dem Angebot und lassen sich erstaunlicherweise auch nicht ohne Wasser und Strom so schnell aus der Asche vertreiben. Mit riesigen Transparenten geben sie ihre Unzufriedenheit deutlich zu verstehen, denn sie wollen die glorreiche Vergangenheit, als der der Ort noch einen touristischen Aufschwung erlebte, nicht so schnell vergessen. Der Übeltäter der die Sauerei angerichtet hat, der nicht sichtbare 1‘000 Meter hohe Vulkan Chaitén, erkennt man nur an seiner weissen Rauchwolke die in den blauen Himmel aufsteigt.

Wir verlassen das Katastrophen Gebiet in die entgegengesetzte Richtung und fahren nach Caleta Santa Bárbara. Das nur ein paar Kilometer vom zerstörten Chaitén entfernt liegt und wegen eines Hügels vom Vulkanausbruch gänzlich verschont blieb. Dort nächtigen wir wild beim Picknickplatz direkt am Meer. Tags darauf wollen wir zum Parque Pumalin fahren, beim neu errichteten Polizeiposten erkundigen wir uns nach dem direktesten Weg, denn uns ist entlang der Strasse noch kein Wegweiser begegnet. Der Polizist schaut uns ein wenig verwundert an und wir erfahren sogleich, dass der Park Pumalin seit dem Vulkanausbruch geschlossen ist. Uns wird aber wenigstens die Weiterfahrt zum Eingang des Parks gestattet und wir gelangen durch den dichten Urwald zum dramatischen Strassenende. Die letzten Meter legen wir sicherheitshalber zu Fuss zurück, ignorieren dabei die Verbotstafel und laufen entlang eines eingeäscherten Waldstückes durch ein schwefelhaltig gelbes Bächlein. Das unpassierbare Hindernis aus verkeilten Baustämmen, Schlamm und Steinen das wir hier antreffen, werden wir wohl nicht so schnell vergessen.

Am nächsten Morgen während die einheimischen Frauen bei Ebbe unter den Steinen am Strand nach Hummer und Krebsen suchen, schwimmen in der windstillen Bucht von Caleta Santa Bárbara Delphine und Seehunde ihre morgendliche Runde. Über den schwarzen Sand verdunstet der Morgentau und aus dem angrenzenden Wald ertönt das Gezwitscher der Vögel. Eine Vorstellung von einem kleinen Paradies haben wir hier gefunden, so dass beinahe die Verwüstung ringsherum in Vergessenheit gerät.

Trotzdem verlassen wir gegen den Mittag diesen sagenhaften Platz und tanken in Chaitén an der kürzlich wieder eröffneten Tankstelle voll. In einem kleinen brandneuen Laden versorgen wir uns mit dem Notwendigsten. Ferner erfahren wir vom redseligen Besitzer die neusten Nachrichten über das verheerende Erdbeben und den dadurch ausgelösten Tsunami, dass sich an der Küste von Chile ereignet hat. Wir haben von dem rein gar nichts gespürt, obwohl wir uns 1‘000 Kilometer südlich vom Epicenter entfernt an der Küste aufgehalten haben. An diesem „bewegenden“ frühen Morgen müssen wir wohl wie die Bären im Winterschlaf geschlafen haben.

 

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